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27. September 2018

Riskanter Tabubruch

Mit Christian Hartmann hat nun auch die CDU in Sachsen einen neuen Fraktionsvorsitzenden, der nicht auf Angela Merkels Wunschliste stand. Umgehend nach seiner Wahl bringt er eine Koalition mit der sächsischen AfD ins Spiel. Doch so ein Bündnis ist für die CDU extrem gefährlich

Die CDU ist ins Rutschen geraten. Alte Gewissheiten gelten nicht mehr. Die Autorität der Parteiführung erodiert. Die Richtungskämpfe spitzen sich zu. Der unbedingte Machtwille scheint den Christdemokraten abhanden gekommen zu sein. Dies zeigt sich derzeit nicht nur in Berlin, sondern auch in Dresden. Fast scheint es so, als hätten sich die Christdemokraten entschieden, in der Endphase der Ära Merkel einen gefährlichen strategischen Weg einzuschlagen. Ausgang ungewiss.

Welch ein Zufall. Auch in Dresden wurde in dieser Woche ein neuer Fraktionsvorsitzender gewählt, nachdem der Amtsinhaber Frank Kupfer aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten war. Doch statt den Mann zu wählen, den der sächsische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Michael Kretschmer vorgeschlagen hatte, wählte die Fraktion mit Christian Hartmann einen Widersacher Kretschmers an ihre Spitze. In Berlin verlor Merkels Mann das Vertrauen der Fraktion, in Sachsen konnte Kretschmers Mann das Vertrauen der Fraktion gar nicht erst gewinnen.

Doch hier enden die Gemeinsamkeiten zwischen Berlin und Dresden. Ralph Brinkhaus, der neue Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, versicherte Kanzlerin Merkel gleich nach der Wahl seine Loyalität und seine Unterstützung.

Ein Riss geht durch die sächsische CDU

Anders hingegen Christian Hartmann: Er stellte sich mit einem riskanten Tabubruch gleich nach seiner Wahl gegen Kretschmer und auch gegen Merkel sowie gegen die gesamte CDU-Führung. Gleich in seinem ersten Interview schloss der neu gewählte Vorsitzende der sächsischen CDU-Landtagsfraktion eine Zusammenarbeit mit der AfD und auch eine Koalition im sächsischen Landtag nicht aus. Er machte so unmissverständlich deutlich, dass er sich nicht in die Wahlkampfstrategie des Ministerpräsidenten fügen werde. Kretschmer hatte sich seit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende vergangenen Jahres konsequent abgegrenzt von der AfD. Eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD, die er zumindest teilweise für rechtsextrem hält, lehnt Kretschmer ab. Stattdessen hatte er im jetzt beginnenden Wahlkampf die AfD scharf angegriffen. Ein Jahr vor der Landtagswahl geht ein tiefer Riss durch die sächsische CDU. Der Ministerpräsident steht brüskiert da.

Doch der Streit ist mehr als eine Auseinandersetzung in einem CDU-Landesverband. Er hat vielmehr das Zeug, die CDU und ihre strategische Glaubwürdigkeit insgesamt zu beschädigen und sogar die Große Koalition in Berlin zu gefährden. Schon fordert SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil von der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel ein Machtwort.

Wedeln mit roten und braunen Socken

Der Richtungsstreit in der sächsischen CDU zeigt die Falle, in der die CDU steckt, seit sich die AfD am rechten Rand im bundesdeutschen Parteiensystem etabliert hat. Die CDU steht somit vor dem selben machtstrategischen Dilemma wie einst die SPD in ihrem Verhältnis zur PDS und anschließend zur Linkspartei. Wann immer in der SPD in den vergangenen beiden Jahrzehnten über rot-rote Bündnisse diskutiert wurde, wedelten die Christdemokraten mit roten Socken und trieben die Sozialdemokraten vor sich her. Vor allem in den neunziger Jahren hatte die SPD ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil die SPD-Parteiführung Bündnisse mit der PDS ausschloss, während sich eine SPD-geführte Minderheitsregierung von der PDS tolerieren ließ im Landtag von Sachsen-Anhalt.

Auch die CDU hat in den vergangenen Jahren in der Mitte viele Wähler hinzugewonnen, vor allem ehemalige Wähler von SPD und Grünen. Für diese Wähler war die vor allem gesellschaftspolitische Modernisierung der CDU unter Kanzlerin Merkel nur deshalb glaubwürdig, weil sich die CDU zugleich von alten konservativen Zöpfen trennte. Das verortet sie heute klar abgegrenzt von der rechtspopulistischen AfD. Schwarz-Blaue Koalitionsdebatten würden diese Glaubwürdigkeit beschädigen, zumal es sich die Sozialdemokraten sicher nicht nehmen lassen, wie einst die Christdemokraten, mit Socken zu wedeln – nur eben mit braunen.

Regieren mit der Fundamentalopposition?

Dabei lässt sich die Frage nach Koalitionen mit der AfD gar nicht so einfach beantworten. Vor allem in Ostdeutschland nicht, wo das westdeutsche Parteiensystem nie Fuß gefasst hat. Einerseits kann eine Partei wie die AfD, die bei einer Landtagswahl bis zu einem Drittel der Wähler mobilisieren kann, nicht dauerhaft von der politischen Willensbildung ausgeschlossen werden. Früher oder später wird CDU an der Debatte nicht vorüber kommen: Wie halten wir es mit der AfD?

Andererseits jedoch ist diese Debatte für die CDU extrem gefährlich. Es lässt sich schließlich zu Recht fragen, ob die AfD überhaupt regierungsfähig ist. Ein realpolitischer Flügel ist in der rechtspopulistischen Partei nicht zu erkennen. Es gibt keine Landespolitiker, die tatsächlich an einer Politik der kleinen Schritten und der alltäglichen Suche nach politischen Kompromissen interessiert sind. Im Gegenteil, große Teile der AfD und vor allem die ostdeutschen Landesverbände haben sich radikalisiert, reden einer Fundamentalopposition das Wort. Sie wollen das politische System bekämpfen, das System Merkel entsorgen. Regieren wollen sie erklärtermaßen nur, wenn sie stärkste Partei sind. Viele Konservative und Liberale, die bei der Parteigründung vor fünf Jahren dabei waren, haben die AfD deswegen wieder verlassen. In dieser Woche erst gab auch der Hamburger AfD-Politiker und Vorsitzende der Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, Jörn Kruse, sein Parteibuch zurück. Er wollte nicht länger zusehen, wie die AfD das Bündnis mit Rechtsextremisten sucht.  

Fatales Machtvakuum in der CDU

Weil in der AfD demokratiefeindliche Kräfte und Diskussionen mehr und mehr an Einfluss gewinnen, ganze Parteigliederungen dominieren, prüfen mehrere Landesämter für Verfassungsschutz, ob die Partei nicht beobachtet werden muss. Lässt sich die CDU in einer solchen Situation zum Beispiel in Sachsen auf Debatten über Koalitionen mit der AfD ein, könnte sie in deren Radikalisierungssog geraten und erst recht viele Wähler in der Mitte verprellen und ihre Mehrheitsfähigkeit verlieren.

Eigentlich bräuchte die CDU in einer solchen Situation eine Parteiführung mit Autorität, Weitsicht und machtstrategischem Gespür. Beides fehlt derzeit, weil Angela Merkel nicht nur als Kanzlerin, sondern auch als CDU-Vorsitzende angeschlagen ist. Alle in der CDU wissen: Ihr Abschied von der Macht ist nur noch eine Frage der Zeit. Doch je länger das Interregnum in der CDU sich noch hinzieht, desto größer könnten die Kollateralschäden werden. Und desto länger können Landespolitiker wie Christian Hartmann auf Kosten der Partei ihre ganz persönlichen politischen Spielchen spielen.

(zuerst erschienen bei cicero.de)