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23. April 2019

Das AKK-Dilemma

Für viele Christdemokraten ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Annegret Kramp-Karrenbauer Angela Merkel beerbt und Kanzlerin wird. Wenn sie sich da mal nicht täuschen

Über keine Frage wird im politischen Berlin derzeit mehr diskutiert als darüber, wann Annegret Kramp-Karrenbauer Kanzlerin wird. Wann übergibt Kanzlerin Merkel den Staffelstab? Schon im Sommer? Ende des Jahres? Oder doch erst 2021? Vor allem in der CDU hoffen manche, die neue Parteivorsitzende könne irgendwann in dieser Legislaturperiode Angela Merkel ablösen und mit Amtsbonus in den kommenden Bundestagwahlkampf ziehen. Doch diese Hoffnung trügt.

Nach Lage der Dinge wird Merkel vielmehr so lange Kanzlerin bleiben, bis die Legislaturperiode 2021 regulär zu Ende geht. Es sei denn, die Große Koalition zerbricht. Dann allerdings wäre die Legislaturperiode vorzeitig beendet. Es gäbe vorgezogene Neuwahlen. Das heißt: Kanzlerin kann AKK erst nach Neuwahlen werden, wenn überhaupt.

Es gibt zwei Szenarien, mithilfe derer AKK doch noch in dieser Legislaturperiode ins Kanzleramt kommen und den Staffelstab von Angela Merkel einfach übernehmen könnte. Entweder mit den Stimmen der SPD-Bundestagsabgeordneten. Oder in einem Jamaika-Bündnis mit Unterstützung von FDP und Grünen. Doch beide Szenarien erscheinen nach Lage der Dinge unwahrscheinlich.

Die Sachfragen-Sehnsucht der SPD

Die Sozialdemokraten verspüren überhaupt keinen Drang, der CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer einen Amtsbonus und damit einen Vorteil im nächsten Bundestagswahlkampf zu verschaffen. Seit die SPD in der Wählergunst abgestürzt ist, also seit 2009, hofft sie auf den Moment, an dem Merkel abtritt und endlich wieder Sachfragen und nicht Personalfragen im Mittelpunkt des Wahlkampfes stehen werden. Dass nicht mehr die Beliebtheit von Merkel den Unterschied macht, sondern der Mindestlohn, die Respektrente und ein Mietenstopp. Diese Hoffnung wird die Partei nicht aufgeben und auch nicht für ein politisches Linsengericht an die Union verkaufen, etwa, indem sie in der Großen Koalition die Wahl von AKK gegen ein paar programmatische Zugeständnisse eintauscht.

Drei SPD-Kanzlerkandidaten haben sich gegen Merkel und ihre Popularität verschlissen, Steinmeier, Steinbrück und Schulz. Der nächste SPD-Kanzlerkandidat will es mit einer unerfahrenen Konkurrentin ohne Amtsbonus von der CDU zu tun haben, um endlich die Hoffnung auf einer Wiederauferstehung der SPD nähren zu können. Das wäre der letzte Dienst, den die Große Koalition den Sozialdemokraten am Ende der Ära Merkel noch erweisen könnte. Wie trügerisch diese Hoffnung ist, das ist allerdings eine ganz andere Frage.

Drohende Verunsicherung der CDU-Wähler

Die Grünen auf der anderen Seite fühlen sich angesichts des Umfragehochs bei der Bundestagswahl 2017 mit 8,9 Prozent deutlich unter Wert geschlagen. Zudem misstrauen sie nach den Erfahrungen in den Jamaika-Sondierungen der FDP zutiefst. Habeck und Co. setzen auf Neuwahlen, falls die Große Koalition zerbrechen sollte. Zum einem würden sie mit einem besseren Wahlergebnis im Rücken mehr politisches Gewicht in Koalitionsverhandlungen einbringen. Zum anderen spekulieren die Grünen nach Neuwahlen auf eine schwarz-grüne Mehrheit ohne die FDP.

Es sieht nicht so aus, als könne sich die Haltung von SPD und Grünen in den kommenden Monaten grundlegend ändern. In der CDU gehen daher alle Parteistrategen deshalb längst davon aus, dass Merkel und AKK als Tandem in den nächsten Bundestagswahlkampf ziehen werden – die eine als scheidende Kanzlerin, die andere als Kanzlerkandidatin, und dies entweder 2021 oder vorher. Und die Strategen gehen zudem davon aus, dass es der Union schaden würde, wenn diese die Große Koalition platzen ließe. Denn dies würde einerseits viele Wähler der Dauerregierungspartei CDU verunsichern. Andererseits würde es die Kanzlerin nachhaltig beschädigen, die immer noch viel Unterstützung in der Union genießt und die deshalb im Wahlkampf gebraucht würde. Stürzt Merkel gar über eine konservative Revolte in den eigenen Reihen, gäbe sie damit die politische Mitte fahrlässig frei.

Merkel noch immer beliebt

Was andersherum heißt, die Antwort auf die entscheidende strategische Frage der kommenden beiden Jahre, wann platzt die Große Koalition, wann gibt es Neuwahlen, liegt allein in den Händen der SPD. Besitzen die Sozialdemokraten nach den absehbaren Wahlniederlagen diese Jahres – bei der Europawahl und den vier Landtagswahlen in Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen – noch die strategische Kraft, den für sie günstigsten Zeitpunkt für das Ende der Großen Koalition und Neuwahlen zu bestimmen? Oder geben sie sich der Oppositionssehnsucht vieler Sozialdemokraten hin und verlassen panisch die Regierung? Es wird vor allem davon abhängen, wie tief die SPD in diesem Sommer fällt.

Annegret Kram-Karrenbauer steckt also in einem doppelten Dilemma. Sie ist einerseits davon abhängig, wie sich die SPD verhält. Andererseits wäre eine CDU-Doppelspitze im Bundestagswahlkampf ein politisches Experiment ohne Beispiel. Derzeit scheint kaum vorhersehbar, wie das Wahlvolk auf ein solches Experiment reagiert, und zwar völlig unabhängig davon, ob die nächsten Wahlen 2021 stattfinden oder früher. Dass große Ausschläge in der Wählergunst möglich sind, haben die vergangenen Jahre gezeigt. Dass sich viele Wähler neu orientieren werden, wenn die Ära Merkel endgültig vorbei ist, liegt nahe. Zumal Merkel nach wie vor eine der beliebtesten Politikerinnen im Lande ist, vor allem beliebter als alle Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik. Viele Wähler haben CDU und CSU bis zuletzt nicht trotz, sondern wegen Merkel gewählt. Darunter waren viele Wähler, die nicht zu den Stammwählern der Union gehören und in der Ära Merkel sowie wegen ihres gesellschaftspolitischen und ökologischen Modernisierungskurses dort erstmals ihr Kreuz gemacht haben.

Keine Frage des Wann, sondern des Ob

So sehr sich AKK derzeit darum bemüht, konservative Wähler wieder an die Union zu binden und AfD-Wähler zurückzugewinnen, so wenig hätte die CDU-Vorsitzende gewonnen, wenn sie dadurch in der Mitte liberale Wähler verprellt. Und wie schnell das geht, hat die CSU bei der bayerischen Landtagswahl 2018 bitter erfahren müssen. Aktuelle Umfragen zeigen, wie fragil die Zustimmung für CDU und CSU derzeit ist. Bei Sonntagsfragen kommt die Union derzeit nur auf 28 bis 30 Prozent, vor einem Jahr stand sie noch etwa fünf bis sechs Punkte besser da. Die Große Koalition steht bei lediglich 44 bis 46 Prozent. Der AKK-Effekt ist also eher ein negativer. Sackt die Union in Umfragen noch zwei oder drei Punkte mehr ab oder erholt sich die SPD ein wenig, kommen plötzlich wieder ganz andere Machtoptionen ins Spiel. Eine Ampelkoalition etwa kommt derzeit auf 45 Prozent, ein rot-rot-grünes Bündnis auf 44 Prozent. Da reichen sogar leichte Ausschläge in der Wählergunst, damit alle machtpolitischen Diskussionen eine völlig neue Dynamik erhalten. Jamaika und Schwarz-Grün wären nicht mehr die einzige Alternative zur Großen Koalition.

Die Frage, wann Annegret Kramp-Karrenbauer Kanzlerin wird, ist also falsch gestellt. Es ist nicht eine Frage der Zeit, wann AKK Kanzlerin wird. Es ist vielmehr eine Frage der politischen Stimmung zum Zeitpunkt der nächsten Bundestagswahl, ob AKK Kanzlerin wird. Wer immer in der Union gedacht hat, das Ende der Ära Merkel ließe sich problemlos händeln, das Kanzleramt einfach an Kramp-Karrenbauer übergeben, hat sich geirrt. Die Diskussion darüber, wie sich die Partei dafür politisch und strategisch aufstellen muss, hat in der CDU noch nicht einmal begonnen. Mit Werkstattgesprächen, offenen Briefen an die EU, ein paar Karnevalswitzen und viel Sehnsucht nach Friedrich Merz wird es nicht getan sein. Die Operation Staffelstab wird für die CDU somit zu einer Herausforderung, die sie noch lange nicht bestanden hat. Das AKK-Dilemma lässt sich nicht einfach auflösen.

(zuerst erschienen bei cicero.de)