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15. Februar 2007

Das Urteil gegen den Holocaust-Leugner Ernst Zündel nützt nichts im Kampf gegen Neonazismus, aber es unterhöhlt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Ein Kommentar

Ernst Zündel ist ein widerlicher Nazi, ein unbelehrbarer Holocaust-Leugner und Antisemit. Fünf Jahre muss der 67-Jährige nun ins Gefängnis, weil er nach Überzeugung des Landgerichts Mannheim auf seiner Internet-Homepage in vierzehn Fällen den Völkermord an den Juden systematisch geleugnet und durch antisemitische Hetze zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung aufgestachelt habe.

Endlich, werden viele sagen. Denn Zündel hat seine wirre Weltsicht schon seit Jahrzehnten in Büchern, Zeitschriften und im Internet verbreitet. In dem fünfzehnmonatigen Prozess nutzten er und seine Anwälte den Gerichtssaal noch einmal als Propagandabühne. Sie bestritten den millionenfachen Mord an den Juden und die Existenz der Gaskammern, sprachen von einem „Dogma", das dem Land „von den Juden aufgezwungen“ worden sei und unterzeichneten Anträge an das Gericht mit „Heil Hitler“.

Warum tun sich das Land und seine Justiz dies an? Warum verhandelt ein deutsches Landgericht fünfzehn Monate lang gegen einen politisch fehlgeleiteten Rentner? Beim Völkermord an den Juden handelt es sich schließlich um ein Staatsverbrechen, das durch zahllose Dokumente, Zeugenaussagen und Geständnisse belegt ist. Daran können Zündel und seine braunen Gesinnungsgenossen nichts ändern.

Nun kann man argumentieren, Deutschland sei als Land der Täter besonders dazu verpflichtet, die Überlebenden des Völkermordes vor der Verhöhnung durch Jung- und Altnazis zu schützen. Und es müsse solchen Leuten deshalb mehr noch als andere entgegentreten, auch mit den Mitteln der Strafjustiz.

Doch das Urteil gegen Zündel wird die Neonazi-Bewegung nicht schwächen. Im Gegenteil, jetzt hat sie einen Märtyrer mehr. Einen, der sich der vermeintlichen "jüdischen Weltverschwörung" entgegenstellt und der bereit ist, für diesen Wahn auch noch ins Gefängnis zu gehen. So ist es nämlich: Im Kampf gegen Neonazis schaden solche Prozesse und Urteile mehr, als dass sie nutzen. Doch was noch schwerer wiegt, sie unterhöhlen die durch den Artikel 5 Grundgesetz geschützte Meinungsfreiheit. Dieses Recht, jede noch so abwegige These, aber auch jeden Unsinn und sogar schlimme Unwahrheit verbreiten zu dürfen, findet seine Einschränkung lediglich dort, wo konkrete Personen verunglimpft und Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Deshalb ist auch das Zitat „Soldaten sind Mörder“ durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Weil dadurch eben keine konkrete Person benannt ist.

Die freie Rede ist ein hohes demokratisches Gut. Genau darauf zielen die Holocaust-Leugner ab, heißen sie nun Zündel oder Ahmadineschad. Sie wollen die westlichen demokratischen Gesellschaften vorführen und zeigen, dass die von ihnen hochgehaltenen Freiheitsrechte nur Heuchelei seien. Und sie wissen natürlich, dass sie Deutschland und den Westen beim Thema Holocaust an einer sehr empfindlichen Stelle treffen. Insofern ist die Provokation Zündels gelungen.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar entschieden, die Leugnung des Holocaust sei nicht durch Artikel 5 Grundgesetz gedeckt. Weil dies keine Meinungsäußerung sei, sondern eine Tatsachenbehauptung, die „erwiesen unwahr“ sei. In den USA, in Kanada und auch Großbritannien hingegen wird dies ganz anders gesehen - so unerträglich es auf den ersten Blick erscheinen mag. Dort ist auch die Leugnung des Holocaust durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, und der Vorstoß von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die Leugnung des Holocaust europaweit unter Strafe stellen zu wollen, stieß in Großbritannien deshalb auf laute Proteste.

Statt die deutsche Praxis zu exportieren, sollte man über ihr Ende nachdenken. Spätestens dann, wenn die letzten Überlebenden des Holocaust gestorben sind. Denn dann ist der Holocaust historisiert und seine Leugnung kein Fall mehr für den Schutz von Persönlichkeitsrechten.

Den demokratischen Staat hingegen muss man vor politisch motivierten Lügen nicht schützen. Im Gegenteil, er muss und kann sie aushalten, dafür ist die Meinungsfreiheit viel zu kostbar. Ernst Zündel und seine Freunde sollte eine selbstbewusste demokratische Gesellschaft als das behandeln, was sie sind: Irre.

ZEIT ONLINE, 15. Februar 2007