IMG_0028.jpg
spd-2018.JPG
csu-2017.JPG
gruene-2018.JPG
IMG_1002.jpg
IMG_0014_3.jpg
P1010792_1_2.jpg
22. November 2008

Berlin gibt sich gern kreativ. Der Wiederaufbau des Stadtschlosses ist das Gegenteil: borniert und überflüssig. Daran ändert auch der preisgekrönte Architektenentwurf nichts.

Mit dem Slogan "Be Berlin" wirbt die deutsche Hauptstadt in aller Welt. Berlin wird als Lebensgefühl verkauft, als Stadt, die nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und nach 40 Jahren Teilung wieder im Werden ist und ihre Kraft aus der Baustelle Metropole mit seinen vielen Provisorien, Gegensätzen und Experimenten saugt – gelegentliches Scheitern eingeschlossen.

Die meisten Berliner fühlen sich wohl in dieser unübersichtlichen, aber spannenden und manchmal natürlich auch provinziellen Melange, der der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit das Etikett "arm, aber sexy" verpasst hat. Vor allem viele junge Leute ziehen deshalb nach Berlin. Auch Touristen kommen in Massen.

Doch längst hat Berlin der Mut verlassen. Das Motto der Stadt heißt nicht mehr "be neugierig, be kreativ, be Zukunft", sondern "be feige, be langweilig, be Vergangenheit". Das alte Stadtschloss der Hohenzollern, dessen Ruine 1950 von der DDR-Führung gesprengt wurde, soll wiederentstehen, mit seiner rechteckigen Kubatur, der Schlüterschen Kuppel und der barocken Fassade, zumindest an drei Seiten. Nur die gen Osten gerichtete Fassade soll vom Original abweichen, dafür darf an der Geschosshöhe und den Fensterformaten nicht gerüttelt werden.

So hat es der Bundestag beschlossen, so wird es nun mit bürokratischem Eifer in die Tat umgesetzt, und daran hat sich auch der Sieger des Architektenwettbewerbs gehalten, der an diesem Freitag in Berlin gekürt wurde.

Der italienische Architekt Francesco Stella hat möglicherweise das Beste aus den rigiden Vorgaben gemacht. Er war darum bemüht, eine innovative Lösung zu finden. Er will in einen der beiden Schlosshöfe modern hineinbauen und auf der Ostseite des Schlosses eine Art Belvedere entstehen lassen, der neue Blicke zum Lustgarten und zum Alexanderplatz öffnet. Selbstredend wird er von der Jury, die ihn einstimmig zum Sieger bestimmt hat, gefeiert. Aber vor einer abschließenden Bewertung werden seine Pläne wohl erst im Detail unter die Lupe genommen werden müssen. Aber vor allem bleibt das Schloss ein Schloss.

Im Herzen der Stadt entsteht also ein Stück Preußen neu. Spannend ist das nicht. Die finstere und verschlossene Fassade verlängert nur die Ansammlung von alten Prachtbauten, die den Boulevard Unter den Linden zwischen Brandenburger Tor und Berliner Dom säumen.

Welch eine Symbolik! Honeckers Palast der Republik musste weichen, weil er an den sozialistischen deutschen Staat erinnerte. Doch statt an diesem exponierten Ort der Hauptstadt nun etwas Zukunftsweisendes zu errichten, mit zeitgenössischer Architektur eine neue, alte Mitte Berlins zu kreieren, die die zusammenwachsende Stadt und eine selbstbewusste Demokratie symbolisieren, hat vor allem bei den Politikern die Sehnsucht nach Geschichte die Oberhand gewonnen.

Auch wenn sie letztlich nur aus einer Attrappe besteht. Denn hinter der historischen Fassade wird ein moderner Funktionsbau entstehen. Der Zeitplan ist ehrgeizig, 2010 soll Baubeginn sein, 2013 die Einweihung. Er wird nicht einzuhalten sein.

Und so zeigt der geplante Wiederaufbau des Stadtschlosses, dass die Bekenntnisse zur modernen Metropole genauso hohl sind wie alle Sonntagsreden über die deutsche Einheit. Berlin flüchtet sich lieber ängstlich in die Vergangenheit. Dabei wäre noch nicht einmal Eile geboten. Nachdem es fast zwei Jahrzehnte gedauert hat, um den Palast der Republik abzureißen, könnte es Berlin auch ertragen, dass auf dem Schlossplatz erst einmal eine – zugegeben hässliche – Brache bliebe. In aller Ruhe könnte man über eine sinnvollere Nutzung und Gestaltung nachdenken. Zumal mit der temporären Kunsthalle zumindest an dessen Rande für eine attraktive Zwischennutzung gesorgt ist.

Es gibt zudem noch zwei ganz praktische Gründe, die gegen den Wiederaufbau des Stadtschlosses sprechen. Das sogenannte Humboldt-Forum soll dort einziehen, die ethnologischen Sammlungen außereuropäischer Kunst, die bislang in Museen am Stadtrand eher versteckt werden. Eigentlich eine gute Idee, die einerseits ideal die Bauten der Museumsinsel ergänzen würde und auch eine Brücke schlägt zur nahen Humboldt-Universität.

Nur passt das Museum nicht so recht in den Schlossbau, zu klein ist der außerdem. Doch statt für die geplante Nutzung ein genauso funktionales wie attraktives Gebäude zu planen, werden die Exponate in die vorhandene, aber dysfunktionale Hülle gezwängt. Daran wird auch Francesco Stella nichts ändern können.

Auch die Kosten, die rund 552 Millionen betragen sollen, werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit explodieren. Schätzungen gehen von mindestens dem Doppelten aus, allein die Wiederherstellung der barocken Fassade könnte statt 80 Millionen Euro gut und gerne 130 Millionen kosten. Ein moderner Bau wäre also auch billiger zu haben.

Doch wer soll die Geschichtsfanatiker noch stoppen? Vielen Berlinern ist es mittlerweile schnuppe, was auf dem Schlossplatz passiert. Dass sie den Bau herbeisehnen, ist reine Propaganda. Das zeigt vor allem die Tatsache, dass die Spenden, mit denen die historische Fassade finanziert werden soll, nicht sprudeln, sondern allenfalls tröpfeln.

Die Architekten haben, indem sich viele dem Wettbewerb verweigerten, still protestiert. Statt der erwarteten mehreren Hundert sind nur etwa 85 Entwürfe eingereicht worden. Von denen schafften es nur mit einigem Wohlwollen 30 in die Endauswahl. Selbst der Jury-Präsident Vittorio Lampugnani outete sich zwischenzeitlich als Kritiker einer originalgetreuen Rekonstruktion. Er hätte sich offenere Vorgaben für den Architektenwettbewerb gewünscht. Die Politik hingegen hat sich längst neuen Themen zugewandt, allen voran Ex-Kanzler Schröder, dessen preußischer Erweckung dem entscheidenden Bundestagsbeschluss vorausging.

Niemand traut sich, den Irrtum zu korrigieren. Es mag sein, dass die in den letzten Tagen wieder aufgeflammte Debatte zu spät kommt. Aber es gibt noch Hoffnung. Vielleicht findet sich ja noch jemand, der das Stadtschloss versenkt. Sei es, dass die Kosten ins Unermessliche steigen oder sich sonstige bürokratische Hindernisse auftun. Sei es, dass sich nicht genügend Bildhauer finden, die den barocken Fassadenschmuck herstellen können. Oder sei es, dass die ethnologische Sammlung doch noch die enge Fassade sprengt, wenn die Präsentation der zum Teil riesigen Exponate konkret umgesetzt wird.

Häufig steckt der Teufel im Detail, selbst Vittorio Lampugnani sprach bei der Präsentation des Siegerentwurfes davon, die Jury habe nichts ausgewählt, was so gebaut werde, "sondern einen guten Ausgangspunkt darstellt". Die Debatte um den Wiederaufbau des Stadtschlosses ist also längst noch nicht beendet.

ZEIT ONLINE, 22. November 2008